Munitionsrückstände
Nicht nur vermoderte und
umgestürzte Jagdkanzeln und Hochsitze sowie anderer Müll der Jägerschaft
verbleibt unbeachtet in unserer Natur. Auch eine weitaus größere Gefahr liegt
verborgen und unbemerkt in Böden und Gewässern.
Die Rede ist von Blei-Schrot sowie anderer
Munitionsvarianten. Jährlich werden ca. 1500 Tonnen dieses toxischen
Schwermetalls durch das Hobby Jagd in unserer Natur verteilt.
Immer wieder stößt der Naturinteressierte Leser auf solche und ähnliche Nachrichten:
"Zahlreiche Seeadler sterben an einer Überdosis Blei."
Das Schwermetall stammt aus Munition, mit der Jäger schießen. Wenn der deutsche Wappenvogel im Müritz-Nationalpark todkrank am Boden hockt, ist keineswegs die Wirtschaftskrise schuld, der Seeadler wurde schlicht vergiftet. „Von 16 Seeadlern, die wir zwischen 2004 und 2007 tot im Nationalpark gefunden haben, hatten zehn eine Bleivergiftung“, berichtet der Nationalparkmitarbeiter Volker Spicher. Im Rest der Republik sieht die Situation nicht viel besser aus, sagt Oliver Krone vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin. Seit 1996 untersucht der Tierarzt verendete Seeadler. Bei rund einem Viertel der mehr als 500 Vögel diagnostizierte er eine Bleivergiftung. Wie das giftige Schwermetall in die Körper der Tiere gelangte und wie es dort wirkt, darüber diskutieren am morgigen Donnerstag Experten verschiedener Institutionen im IZW. Dabei werden auch die Ergebnisse einer dreijährigen Studie präsentiert. Sie zeigen, dass nicht nur Seeadler von Bleivergiftungen betroffen sind, sondern auch andere Greifvögel wie Rotmilane, Habichte und Mäusebussarde. In Österreich wurden im vergangenen Jahr sogar vier bleivergiftete Bartgeier gefunden. Dieser Verlust trifft Wolfgang Fremuth von der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt (ZGF) besonders hart, schließlich hatte die Naturschutzorganisation viel Geld in die Wiederansiedlung des Bartgeiers in den Alpen investiert. Seit 200 Jahren waren diese Vögel mit einer Spannweite von fast drei Metern dort ausgerottet. Daraufhin wurden die wenigen in Zoos und Tierparks überlebenden Tiere wieder nachgezüchtet. 65 000 Euro kostet jeder einzelne der rund 150 Bartgeier, die seit 1986 in den Alpen ausgesetzt wurden. Deshalb will auch das ZGF wissen, wie es zu den Bleivergiftungen kommt. IZW-Forscher Oliver Krone kann diese Frage inzwischen ziemlich genau beantworten. So zeigen Röntgenanalysen, dass jeder zweite der untersuchten Seeadler Bleipartikel im Magen hat. Die wiederum stammen zum größten Teil von „Teilmantelgeschossen“, mit denen Jäger auf ihre Beute schießen. Ein Kern aus Blei gibt diesen Projektilen das nötige Gewicht für ihre hohe Durchschlagskraft, ein harter Mantel aus Messing erhöht die Stabilität. Trifft das Geschoss, zerlegt es sich beim Aufprall praktisch selbst. Als Krone den Kadaver eines jungen Wildschweins im Computertomografen untersuchte, entdeckte er weit um den Schusskanal herum Bleisplitter aus dem Teilmantelgeschoss. Dieser Splittereffekt führt bei den gejagten Wildschweinen und Rehen zu größeren Wunden und damit zu einem schnelleren Tod. Doch auch für den Seeadler werden die Splitter zur tödlichen Gefahr. Normalerweise jagt er Fische und Wasservögel. Frieren im Winter die Seen in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg zu – dort lebt der Großteil der rund 600 Seeadler-Brutpaare Deutschlands –, ziehen Enten und andere Vögel an die noch offenen Flüsse. Die Seeadler bleiben meist in ihrem Revier und verteidigen es mit knurrendem Magen gegen eventuelle Nebenbuhler. Da kommt das Wild, das die Jäger schießen, gerade recht. Zumindest die inneren Organe lassen die Waidmänner als so genannten „Aufbruch“ zurück. Ungefähr zehn Prozent aller getroffenen Tiere gehen ihnen sogar ganz durch die Lappen und verenden später im Gebüsch. Vor allem dieses Aas ist für Seeadler im Winter ein wichtiger Teil der Nahrung, zeigen Untersuchungen der IZW-Forscher. „Genau das aber kann sein Verhängnis sein“, vermutet Krone. „Schluckt der Adler Bleisplitter, löst die scharfe Magensäure Bleichloride von der Munition ab.“ Die Bleiionen gelangen mit dem Blut zu Leber und Nieren und werden am Ende sogar in den Knochen abgelagert. So wird immer mehr Blei aufgenommen – bis das Tier stirbt.
Aufgrund solcher Untersuchungen handelte der Präsident des Deutschen Jagdschutzverbandes (DJV), Jochen Borchert, bereits im Jahr 2005. „Ich habe die Jäger zu Sofortmaßnahmen aufgefordert, um den möglichen Tod von Adlern durch Blei aus Munition zu verhindern“, sagt er. Seither sollen die Waidmänner den Aufbruch an Ort und Stelle vergraben. Volker Spicher vom Müritz-Nationalpark bezweifelt den Sinn dieser Maßnahme: Sobald der Boden im Winter gefroren sei, ließen sich die Innereien kaum in die Erde bringen. Und jene Tiere, die angeschossen werden und zunächst entkommen, würden nach wie vor von Seeadlern und anderen Greifvögeln gefressen. Dennoch will der DJV die seit 20 Jahren in den USA und inzwischen auch in Deutschland hergestellte bleifreie Munition bis heute nicht empfehlen, weil sie noch nicht ausreichend erprobt sei. Spicher ist da anderer Ansicht. Der Nationalparkmitarbeiter ist selbst Jäger und gemeinsam mit 13 Kollegen bereits vor vier Jahren auf bleifreie Munition umgestiegen. Nach rund 200 seither erlegten Tieren stellen die Jäger fest: 95 Prozent der bleifreien Schüsse haben das Wild mit einer einzigen Patrone erlegt, besser sei die Quote auch mit herkömmlichen Teilmantelgeschossen kaum. Zwei der 14 Jäger waren mit „bleifrei“ trotzdem etwas unzufrieden, drei glauben dagegen, mit den Geschossen ohne Blei sogar besser zu schießen. Als Fazit könnte man festhalten: Schlechter ist die bleifreie Munition nicht. Das bestätigt auch IZW-Forscherin Anna Trinogga, die geschossene Tiere mit Röntgengeräten und Computertomographen untersucht hat. In der „Tötungsfunktion“ fand sie keine Unterschiede zwischen Munition mit und ohne Blei. Deshalb wollte der Müritz-Nationalpark die Jagd auf bleifrei umstellen – wenn nicht das Land Mecklenburg-Vorpommern im Juli 2008 zumindest den Jägern in seinen Diensten die bleifreie Munition verboten hätte. Ein ähnliches Verbot gibt es auch in Brandenburg, wo zuvor sogar die bleihaltige Munition aufgrund der schädigenden Wirkung auf Greifvögel verboten war. In beiden Bundesländern wurde die Kehrtwende durch eine Mitteilung der Deutschen Versuchs- und Prüfanstalt für Jagd- und Sportwaffen (Deva) ausgelöst: Demnach ist die bleifreie Munition für die Jäger selbst gefährlich. Die Deva beruft sich auf einen 15 Jahre zurückliegenden Fall, bei dem ein Jäger in Franken gegen die Sicherheitsvorschriften verstieß und mit bleihaltiger Munition feuerte, die ähnlich wie bleifreie Geschosse aufgebaut war. Die Kugel prallte ab und verletzte einen Menschen tödlich. Bei einem weiteren Jagdunfall in Potsdam-Mittelmark wurde ein Jäger vom Splitter eines bleifreien Geschosses in der Wade getroffen, als ein Kollege aus nächster Nähe auf ein Wildschwein zielte. „Solche Unfälle sind nicht ungewöhnlich“, sagt Volker Spicher. 14 Prozent aller tödlichen Jagdunfälle gingen auf solche Abpraller zurück. Inzwischen untersucht die Deva auch das Abprallverhalten der bleifreien Munition genauer. Bis ein Ergebnis feststeht, bleibt die bleifreie Jagd untersagt. (Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 15.04.2009)
Studie soll Einfluss auf Menschen klären Werden für die Jagd bleihaltige Geschosse verwendet, können mittelbar auch Menschen geschädigt werden. Da sich die Splitter der Munition im getroffenen Tier verteilen, könnten Teile des Wildbrets, das in Jägerfamilien oder bei anderen Konsumenten auf den Tisch kommt, Bleipartikel enthalten. Das Schwermetall ist für Menschen giftig, vor allem bei Kindern hat es gravierende Auswirkungen: Es beeinflusst die geistige Entwicklung. Zumindest im Tierversuch konnte gezeigt werden, dass Blei auch Krebserkrankungen hervorruft. Daher ist das Metall vielerorts aus der Technik verschwunden, selbst Autoräder dürfen nicht mehr mit Bleigewichten ausgewuchtet werden. Das Bundesministerium für Verbraucherschutz hat nun das Bundesinstitut für Risikobewertung beauftragt, einen möglichen Zusammenhang zwischen bleihaltiger Munition, Wildbret und menschlicher Gesundheit zu untersuchen. Bislang liegen aber noch keine Ergebnisse vor. RHK (Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 15.04.2009)
Seeadler an Bleivergiftung gestorben Ein vor wenigen Tagen bei Dahme (Kreis Teltow-Fläming) krank aufgegriffener und in die Tierklinik Düppel eingelieferter Seeadler ist Opfer einer Bleivergiftung geworden. Eine Blutuntersuchung hatte Bleiwerte ergeben, die einer tödlichen Dosis nahe kommen. Der NABU hatte bereits in der Vergangenheit wiederholt auf das Problem der Bleivergiftung hingewiesen. NABU Geschäftsführer Wolfgang Mädlow: "Von 91 in Brandenburg in den letzten Jahren tot oder krank aufgefundenen Seeadlern hatten 32 eine tödliche Bleivergiftung, und weitere 6 wiesen erhöhte Bleiwerte in den Organen auf."
Ursache der Vergiftung ist nach wissenschaftlicher Erkenntnissen die Verwendung von Bleimunition bei der Jagd. Seit langem ist bekannt, dass viele Wasservögel, die bei der Jagd mit Bleischrot nicht tödlich getroffen wurden, die Schrotkugeln im Körper tragen. Solche geschwächten Vögel werden leicht Beute von Seeadlern, die das Blei mit der Nahrung aufnehmen. Auch im Gelände hinterlassener "Aufbruch", d.h. Organreste von geschossenen Wildtieren kann Bleikugeln enthalten, die von den Seeadlern mit gefressen werden. Bei einigen vergifteten Seeadlern fanden sich im Magen noch Fragmente von Bleimunition.
Mädlow: "Der Seeadler steht am Ende der Nahrungskette, so dass es bei ihm schnell zu tödlichen Bleikonzentrationen kommt. Das deutet aber auf ein grundsätzliches Problem mit Blei in unserer Umwelt hin." Das Problem ist schon lange bekannt und hat in anderen Ländern Eingang in gesetzliche Reglungen gefunden. So ist z.B. in den USA, Kanada, der Schweiz, Großbritannien und Schweden der Einsatz von Bleischrot bei der Wasservogeljagd verboten, während Dänemark und die Niederlande ein Totalverbot für Bleischrot ausgesprochen haben. Deutschland hatte sich im Rahmen der Bonner Konvention zum Schutz wandernder Tierarten verpflichtet, bis zum Jahr 2000 Bleischrot bei der Wasservogeljagd zu verbieten. Dies ist aber nur von einigen Bundesländern umgesetzt worden. Brandenburg hat es bei der Novellierung des Landesjagdgesetzes im letzten Jahr versäumt, eine derartige Reglung aufzunehmen. Mädlow: "Es ist höchste Zeit, Bleimunition zu verbieten. Die weitere Nutzung ist unverantwortlich, zumal Alternativen existieren, die sich in anderen Ländern längst bewährt haben." In Brandenburg kommen mehr als ein Drittel aller deutschen Seeadler vor. Um der Todesursache der Tiere auf die Spur zu kommen, hat Oliver Krone vom Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin bereits 150 tote Adler untersucht. Dabei kam der Spezialist für Greifvögel einem bislang selbst in Fachkreisen unterschätzten Phänomen auf die Spur. So litt ein Großteil der verunglückten Seeadler, die von Autos und Zügen überfahren oder denen Windkraftanlagen oder Stromleitungen zum Verhängnis wurden, gleichzeitig an einer akuten Bleivergiftung. Die Vergiftung wurde zum Teil durch ganze Schrotkugeln ausgelöst, in den meisten Fällen ging sie aber auf kleinste Partikel von Bleimantelgeschossen zurück, die der Experte in den Mägen der Seeadler fand.
Die Vögel nehmen mit der Nahrung – beispielsweise Aas oder Wildaufbruch – aus der Jagdmunition stammende Bleiteilchen auf. Das Blei hat sich bei dem gestreckten Wild – das ergaben Zielgerichtete Untersuchungen – nach dem Auftreffen des Geschosses im Körper breit verteilt. Durch die aggressiven Magensäfte des Seeadlers wird das Blei zersetzt, es gelangt in die Blutbahn. Die Gleichgewichts- und Bewegungskoordination verringern sich, Atemnot setzt ein. Der Sauerstofftransport durch die roten Blutkörperchen funktioniert nicht mehr. Die Zellwände der roten Blutkörperchen platzen. Der Naturschutzbund (NABU) kritisiert heftig den Vorschlag des Präsidenten des Deutschen Jagdschutz-Verbandes Jochen Borchert, die Reste von mit Bleimunition erlegtem Wild zu vergraben. Die Munition war in jüngster Zeit verstärkt ins Visier der Naturschützer geraten, da Seeadler sich mit Bleischrot vergifteten. Es sei keine Lösung, die Wildreste zu vergraben und so für die Adler unzugänglich zu machen, so der NABU. Dadurch würden die Böden jährlich mit 3000 bis 9000 Tonnen Blei belastet. Nicht nur der NABU fordert ein vollständiges Verbot dieser Munition.
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